Wurzelmann, Brombeermann
werd’ ich genannt,
Kenne wie keiner mein Brombeerenland,
bin ein verwunschener, chattischer Zwerg,
Suche urewig im Tale, am Berg,
an Hängen, an Hügeln, im moosigen Filz,
an Rainen, in Steinen nach Beeren und Pilz,
durchwandre die Heimat unzählige Jahr
Und pfeif um die Wette mit Sperling und Star
– Erlauschte der Menschlein Schmerz, Sorge und Leid,
Lachen und Jubeln im Wechsel der Zeit:
Sah in den Städten und ringsum im Land.
Rauschende Feste, Tod, Teufel und Brand,
Schächer und Strolche, Erzschelme, Profoß
Sengende Heere und plündernden Troß,
Ritter und Grafen und Knappen so fein,
Hexen und Nonnen und Edelfräulein,
Wichtel und Elflein in eilender Hatz,
güldene Kronen, vergrabenen Schatz,
Hörte in grus’liger Mitternachtszeit
Weinen, Gelächter in Freud und in Leid,
Irrlichter, Nixen in wirbelnder Reih,
Unkengerufe und Eulengeschrei –
War das ein Tollen in Flur und Gewann,
bis leise im Frührot der Zauber zerrann –
Doch was ich gesehen, erlauscht und erblickt,
Und was ich als Früchte in Körbchen gepflückt,
Sei heute von rastloser, treuester Wacht
Den Großen und Kleinen als Ernte gebracht –
Und wer auf den Glauben der Väter noch schwört
Und Sitten und Bräuche der Ahnen verehrt
Und Hausmannkost nicht verlästert, verlacht,
Dem seien die Beeren als Nachtisch gebracht –
Wurzelmann, Brombeermann jegliche Zeit
Bin ich und bleib ich in Freud und in Leid,
Pflücke auch weiter bei Tag und bei Nacht
Beeren und Pilze in reifschwerer Pracht,
Kelt’re auch heimlich in Busch und Gestein
Ein Fässchen mit perlendem Brombeerwein,
Dann heb’ ich mein Gläschen zum Herrgott empor
Und ruf ihm mit bittender Freude ins Ohr:
Behüte – beschirme mit gnädiger Hand
Immer und ewig mein Brombeerenland!
von Wilhelm Pippart
Dieser Text ist auch Bestandteil einer publizierten Arbeit "Die Perlenkette":